Man könnte meinen, der Ehrengast schockte die Zuhörer gleich zu Beginn der Veranstaltung. Eine „Jugendsünde“ sei der Film „Michael Kohlhaas – Der Rebell“ gewesen, bei dem er – Volker Schlöndorff – 1969 Regie geführt hatte. Die filmische Adaption der Novelle Heinrich von Kleists war offenbar ein Projekt des damals noch jungen Regisseurs, das nur zu Ende gebracht worden ist, weil niemand den Mut hatte, die Notbremse zu ziehen.
Eigentlich kein guter Einstieg an einem Nachmittag im Kleist-Museum, in dem mit Hochspannung dem Beginn des Kleist-Jahres 2011 entgegen gefiebert wird. Denn hier könnte man eine gewisse Sympathie für Heinrich von Kleist, dessen Werk und alles was daraus gemacht wurde, erwarten. Doch niemand steht erschrocken auf und geht. Auch wird das Bekenntnis des mit einem Oscar geheiligten Regisseurs nicht weiter diskutiert. Denn – und das ist ein Phänomen in Frankfurt (Oder) – der Held der Stadt wird hier nicht besonders gepriesen. Es umgibt ihn keine Aura des Unantastbaren und keinem Frankfurter käme es in den Sinn, sich für diesen Dichter aufs verbale Schlachtfeld zu begeben. Und schnell wird klar, weswegen die Gäste an diesem sehr sonnigen Sonntag in das Frankfurter Kleist-Museum gekommen sind. Sie wollen Volker Schlöndorff sehen. Sie wollen ihm zuhören und sie wollen ihm die eine oder andere Frage stellen. Über Kleist möchte eigentlich keiner Sprechen. Da ist ja schon alles gesagt.
Es ist eine verwirrende Stimmung, hier im Epizentrum der Vorbereitungen des Kleist-Jahres. An dem Ort, der sich wie kein anderer zur Aufgabe gemacht hat, die Erinnerung an Heinrich von Kleist wach zu halten, möchte keiner über ihn sprechen. Nicht mal als der Ehrengast Volker Schlöndorff sich als „Kleist-Fanatiker“ outet. Jetzt scheinen einige Zuhörer doch noch geschockt zu sein. Denn niemand würde sich in Frankfurt (Oder) als ein solcher Fanatiker bezeichnen. Schlöndorff wollte eigentlich Fan sagen, traute sich den Anglizismus an diesem Ort dann aber irgendwie nicht und schon war es geschehen. Mit Fanatikern lässt sich es schlecht diskutieren. Also lässt man es lieber. Die Gäste fragen nach der Blechtrommel, wollen wissen, warum die Lang-Version erst kürzlich veröffentlicht wurde, der Moderator zieht die Diskussion auf Schlöndorffs Leben und am Ende beleibt die spannendste Frage unbeantwortet: Warum war „Michael Kohlhaas – Der Rebell“ eine Jugendsünde? Volker Schlöndorff hatte mit dieser Frage gerechnet, hatte vielleicht auch ein bisschen Angst vor ihr, weil sie ihn gezwungen hätte, seine Motivation der späten 60er Jahre zu erläutern. Doch die Frankfurter sind gnädig und das dankte er ihnen mit dem abschließenden Satz beim Aufstehen: „Ich bin ganz erleichtert. Der Film ist vergessen.“
Das ist er, der Punkt an dem viele Fragen zu Heinrich von Kleist scheitern. Keiner stellt sie. Warum ist dieser Film für Schlöndorff eine Jugendsünde gewesen? Warum beschäftigt sich die Erinnerung an Kleist in Frankfurt (Oder) meist nur mit der Tatsache, dass er in dieser Stadt geboren wurde? Was ist es, das die Auseinandersetzung mit Kleist so schwierig macht? Und noch viel spannender: Warum feiert man 2011 mit einem Kleist-Jahr die Tatsache, dass sich dieser damals junge Dichter Heinrich von Kleist im Herbst 1811 auf brutale Art und Weise das Leben genommen hat? Vielleicht sind es tatsächlich die Fanatiker, die man braucht, um diese Fragen zu stellen und zu beantworten.