Die Versuchung ist für mich groß, direkt in eine Ode zu verfallen. Doch ich möchte eigentlich nur erzählen, was das Internet für mich bedeutet, wie es mich und meine Welt verändert hat und auf was ich mich noch alles freue. Denn das ist Einiges.
Dieser Artikel ist im Dezember 2011 in der Zeitschrift CIVIS mit SONDE erschienen.
Erzählen war gestern – Teilen ist heute
Ich kommuniziere über das Internet. Tausche Bilder, schicke Nachrichten und schaue zu, was meine Freunde und Verwandten machen. Einige Leute machen das wie ich ständig. Sie nutzen ein ziemlich intelligentes Mobiltelefon, haben dafür eine kostengünstige Daten-Flatrate und sind nicht nur ständig erreichbar sondern auch rund um die Uhr aktiv. Facebook und Twitter sind nur zwei Plattformen, die es ermöglichen mit Freunden und Bekannten in der ganzen Welt im Kontakt zu bleiben. Ich weiß, was meine Unifreundin in Boston erlebt und lese, dass mein Cousin in Süddeutschland gerade wieder im Stau steht.
Meine Kommunikation funktioniert nicht mehr wie vor 10 Jahren. Ich muss nicht den Telefonhörer in die Hand nehmen, um zu erfahren, dass ein Schulfreund im Urlaub ist und ein anderer sich seinen Traum vom Eigenheim erfüllt hat. Ich brauch auch keine Briefe schreiben oder tagelang durchs Land fahren. Alles was ich machen muss, ist meinen PC an-schalten und auf meine Pinnwand gucken. Dort sehe ich, was mich in-teressieren könnte. Denn jeder der will, kann ins Netz stellen, was er von sich preisgeben möchte. Sei es das leckere Essen in der Mittagspause, ein spannender Zeitungsartikel oder das Hochzeitsfoto vom Wochenende.
Wenn ich aber etwas genauer wissen und zum Beispiel die Stimme meines Cousins hören will, nehme ich trotzdem immer noch den Telefonhörer in die Hand. Aus dem Urlaub schreibe ich meiner Großmutter natürlich eine Postkarte und wenn ich meinen Schulfreund mal wieder treffen will, dann steige ich in den Zug und fahre zu ihm hin. Das Internet hat mir diese Kommunikationsformen nicht abgenommen, es hat mir viele neue Möglichkeiten hinzu gegeben.
Meine Kreise werden immer größer. Ich sehe heute in meinem Alltag was meine Freunde am anderen Ende der Welt machen. Das Leben von Politikern wird für mich verständlicher, weil ich ihnen bei Facebook durch ihren Tag folgen kann. Auf Twitter sehe ich Fußball durch die Augen von Boris Becker, weil er das Bayern-Spiel genauso begeistert verfolgt, wie viele andere Menschen auch. Und mein Lieblingstheater erinnert mich per Email daran, dass bei der heutigen Premiere noch Restkarten zu haben sind. All das kannte ich vor 10 Jahren nicht, heute möchte ich es nicht mehr missen.
Es ist ein Mitmachnetz
Im Internet kann ich mich beteiligen. Meine Meinung ist hier so frei, wie es in unserem Grundgesetz steht. Ich brauche keine Zeitung und keinen Verlag. Ich muss auch nicht den Chefradakteur von CIVIS mit SONDE kennen oder Zugang zu einem Fernsehjournalisten haben, um meine Sicht der Dinge der Öffentlichkeit anzuvertrauen. Alles was ich brauche, ist eine leere Seite im Netz. Eine Seite, die nur ich beschreibe und die dann jeder lesen kann – wenn er es will. Und wenn es keiner lesen will, dann ist das halt so. Wenn ich mich auf den Berliner Alexanderplatz stelle und anfange zu erzählen, hört mir ja auch nicht automatisch jeder zu.
Doch im Netz kann ich mich mit anderen zusammenschließen, die ähnliche Gedanken haben wie ich. Wir lesen und kritisieren gegenseitig unsere Texte, diskutieren tagesaktuell die Nachrichten, eine Bundestags-debatte oder den neusten Kinofilm. Und es ist egal, von wo sich der Einzelne beteiligt. Oft weiß ich es nicht mal. Sitzt mein Diskussionspartner im Büro, wartet er auf den Zug, ist er in Berlin oder starrt er an der Nordsee in die Ferne? Ich weiß es nicht. Und es ist mir auch egal. Wichtig ist mir, dass er mit mir kommuniziert, sich mit mir unterhält und auch mit mir streitet.
Viele der Menschen, mit denen ich täglich in Kontakt stehe, habe ich persönlich noch nie kennengelernt. Einige kenne ich nur unter ihrem Pseudonym, andere geben mir sogar ihre private Adresse preis. Jeder wie er will. Der Begriff für diese Form des Mitmachens ist „Partizipation“. Ich kann mich also einbringen. Ich kann kritisch an Diskussionen teilnehmen. Und wenn ich Peter Altmaier oder Volker Beck – beide sind parlamentarische Geschäftsführer ihrer Fraktionen im Bundestag – über Twitter eine Frage stelle, dann antworten beide sehr wahrscheinlich. Das ging bis vor kurzem nicht.
Per Live-Übertragung kann heute ich im Internet Zeitgeschehen mit verfolgen, das für unsere TV-Sender wahrscheinlich vergeudete Sendezeit wäre. Wann ich will, kann ich mich auf www.bundestag.de durch die Debatten aus dem Reichstag klicken oder die aktuellen Sitzungen in Echtzeit verfolgen. Bei arabischen Fernsehsendern konnte ich im Frühjahr über das Internet live auf den Tahrir Platz in Kairo schauen und die arabische Revolution verfolgen. Und parallel lese ich bei Twitter und in kleinen Blogs, was die Menschen gerade fühlen, die dort vor Ort sind.
Auch für die politische Arbeit lässt sich das Internet sinnvoll nutzen. Die direkte Kommunikation mit aktiven Politikern habe ich oben schon angesprochen. Doch auch im Kleinen bietet das Netz neue Möglichkeiten. Wir können mit einander diskutieren oder streiten, aber auch an Lösungen arbeiten und müssen uns dazu nicht unbedingt treffen. Vieles geht online. Es gibt Diskussionsforen, offene Textdokumente und Chats, in denen man sich entweder in Echtzeit oder wann man will intensiv aus-tauschen kann. Ich muss mir nicht einen Abend in der Woche freihalten, um mich politisch zu engagieren. Mein Engagement mache ich dann, wenn ich es will. Sei es am morgen beim Frühstück, abends wenn die Kinder im Bett sind oder am Sonntag, während der Rest der Familie Mittagsruhe hält.
Das Netz hat viele Kritiker
Dass nicht jeder meine Begeisterung teilt, kann ich nachvollziehen. Ich möchte auch niemanden dazu zwingen, sich so im Internet zu bewegen, wie ich es tue. Aber ich warne davor, das Netz zu dämonisieren und diejenigen, die sich aktiv damit und darin engagieren als realitätsferne Gesellen abzutun. Genauso sind die plakativsten Aussagen nicht zwangsweise die richtigsten. Immer wieder steht zum Beispiel der Vorwurf im Raum, das Internet sei ein rechtsfreier Raum, weil bestehende Gesetze nicht mehr angewandt werden können. Doch das ist ein Fehler.
Im Netz gelten die gleichen Gesetze wie im Nachbardorf. Diebstahl ist Diebstahl und Betrug ist Betrug. Aber im Netz gibt es natürlich neue For-men von Kriminalität. Diese gilt es zu bekämpfen, und wir sind gezwungen, bestehende Gesetze immer wieder an die neuen Herausforderungen anzupassen. Dieser Prozess wird niemals abgeschlossen sein. Doch das ist nicht neu. Auch die Einführung des Rundfunks, des Fernsehens und die Erfindung von Musikkassetten hat das Medienrecht in den vergangenen einhundert Jahren immer wieder vor Herausforderungen gestellt.
Auch der Datenschutz steht immer wieder neu auf dem Prüfstand. Facebook, Twitter und Co machen uns immer wieder bewusst, dass Privatsphäre 2001 etwas anderes ist als 2011. Wenn ich Bilder von mir ins Internet stelle, sollte ich begriffen haben, wer diese sehen kann. Dafür sind wir selbst verantwortlich. So wie wir abends die Gardinen schließen, bevor wir unseren Schlafanzug anziehen, müssen wir auch im Internet mindestens einmal nachdenken, bevor wir etwas hochladen. Denn Privatsphäre muss man immer noch selber machen.
Am Ende ist es ein Medium
Das Netz ist kein Wert an sich. Bei allem Für und Wider ist es im Grunde ein Medium wie viele andere auch. Doch anders als bei Zeitungen, dem Radio und dem Fernsehen kommt es hier darauf an, was wir daraus machen. Wenn wir uns nicht beteiligen, bleibt das Netz ein virtueller Konsumtempel. Wir können dann natürlich entscheiden, welche Webseite wir toll finden, wo wir unsere Musik kaufen und wann wir unsere Lieblingsfilme anschauen. Doch das ist strukturell kaum anders als vor 20 Jahren. Wenn sich aber viele Menschen im Netz beteiligen und engagieren, haben wir heute die Chance, unser Medienverständnis komplett zu verändern.
Informationen können sich breiter verteilen, Wissen kann durch die sogenannte „Schwarmintelligenz“ auf breitere Schultern verteilt werden und jeder hat die Möglichkeit, seine Gedanken zu teilen. Es gibt Web-seiten und Blogs über Kochrezepte, Briefmarken und viele andere Dinge. Vereine von Liebhabern historischer Feuerwehrtechnik organisieren sich über Facebook-Gruppen, zerstreute Familien chatten mit Skype rund um den Erdball und manche Enthusiasten wie ich glauben, dass im Netz gelernte Kommunikationsformen das Überleben des Parteiensystems sichern können.
Das Internet wird natürlich nicht zu Grunde gehen, wenn sich 80 Millionen Deutsche nicht dran beteiligen. Aber es könnte so viel interessanter sein, wenn sie es täten…