Endlich ist es wieder soweit! Der alljährliche Frankreichurlaub steht an. Nur dass ich nicht die Koffer packe, das Auto belade und mich mit Kind und Kegel auf die Autobahn begebe. In Zeiten von Tablet und Internet heißt „Frankreichurlaub“, dass ich mir die Eurosportplayer-App runterlade und so oft es geht nebenbei die „Tour de France“ auf Eurosport verfolge.
Die große Schleife wird 100 und trotz aller Skandale der letzten Jahre bin ich Fan und werde es bleiben. Warum? Ich neige nicht zur Überhöhung einzelner Akteure. Ich erfreue mich am Gesamtbild. Radsport – und ganz besonders die Tour – ist für mich mehr als Leistungssport. Die Tour ist eine Rundreise durch das französische Herz. Und wo das gelbe Trikot auftaucht, schlägt dieses Herz am lautesten.
Millionen von Menschen tun es mir in diesen Tagen und Wochen gleich. Sie schalten, wenn sie können die Tour ein, bügeln nebenbei die Wäsche, sortieren den Papierkram und erfreuen sich an dem, was Ihnen geboten wird. Aber was wird geboten? Nüchtern betrachtet reicht es eigentlich, wenn man sich die letzten 10 km jeder Etappe zu Gemüte führt und nur bei den Bergetappen schon mal gegen 15:00 Uhr einschaltet.
Doch das trifft ihn nicht. Diesen Mythos der Tour. Dieses Gesamtkunstwerk aus Hochleitungssport, grandiosen Kamerabildern vom Hubschrauber oder den Motorrädern, die mit den Sportlern durch Frankreich fahren, und den Episoden und Geschichtchen, mit denen die Moderatoren jeden einzelnen Tour-Tag zu einer Rundreise durch die gerade durchfahrene Region der „Grande Nation“ machen.
Hierfür ein ganz großes Lob an die Kollegen von Eurosport! Aber auch ein riesengroßes Lob an die Leute vom französischen Fernsehen, die uns jedes Jahr im Sommer die schönsten Bilder ihres Landes auf die Bildschirme schicken. Chapeau!
Meine Begeisterung für die Tour und den Radsport allgemein begann in den Neunzigern. Natürlich saß ich mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen vor der Röhre, als Jan „Ulle“ Ullrich 1996 die Berge der Alpen erklomm. Und ja, ich war im Freudentaumel, als Ulle ein Jahr später die große Schleife gewann.
Was ich aber schon als Schüler nicht verstehen konnte, war die explosive und uneingeschränkt positive Hysterie, mit der sich einige Medien und ganz besonders ARD und ZDF plötzlich in die Tour stürzten. Ulle hier, Ulle da, Ulle überall! Vielleicht ist das ein speziell deutsches Problem. Helden werden bei uns mit Ihrem Erfolg gern soweit in die Luft geschleudert, dass es an ein Wunder grenzt, wenn sie ohne größere Blessuren wieder in der Normalität aufschlagen. Jan Ullrich hat das in den letzten 15 Jahren sehr intensiv zu spüren bekommen.
Natürlich. Was Jan Ullrich gemacht hat, ist nicht zu entschuldigen und ich bin auch weit davon entfernt, ihn hier für seine Doping-Verfehlungen in Schutz zu nehmen. Was mich aber vom ersten Tag der nun negativen Hysterie (auch wieder bei ARD und ZDF) aufgeregt hat, ist die Pauschalität, mit der der Stab nicht über einzelnen Fahrern oder Teams sondern über der gesamten Tour gebrochen wurde.
Alles Verbrecher.
Den traurigen Höhepunkt fand das Ganze nicht, als Jan Ullrich Stück für Stück immer mehr Dopingvergehen überführt wurde. Es war der furiose Ausstieg von ARD und ZDF aus der Tour-Übertragung. Dass die öffentlichen Rundfunkanstalten mit der Begründung des Dopings aus dem Radsport ausstiegen, war für mich der Tiefpunkt einer Entwicklung, die hoffentlich einigen zu denken gegeben hat.
Persönlich hat mich das aber gar nicht so sehr getroffen. Denn ich habe seit den Neunzigern die „Tour de France“ immer und konsequent auf Eurosport geschaut. Auch hier wird zwar emotional und mit viel Begeisterung berichtet, aber selbst in den späten 90ern schafften es die Kollegen, nicht in eine Ullrich-Hysterie zu verfallen.
Bei Eurosport freuen sich die Moderatoren über die Leistungen der Sportler und leben jede Emotion mit. Da wird es auch schon mal still, wenn es kurz vor Zieleinlauf einen schlimmen Sturz gibt, weil den Kollegen vor Schreck die Worte fehlen. Bei besonders furiosen Attacken glaubt man zu hören, wie die Kommentatoren in ihrer Box hin und her hopsen.
Ich freue mich heute noch wie ein kleiner Junge auf die Bergetappen und werde auch in diesem Jahr wieder mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen vor dem Fernseher sitzen, wenn die Fahrer am kommenden Sonntag die 1912 Meter des Mont Ventoux erklimmen. Und neben mir wird meine Tochter hocken, mir Löcher in den Bauch fragen und mir das Gefühl geben, ein alter Hase zu sein. Auch das ist die Tour.
Wer jetzt mit der „Tour de France“ immer noch nichts anfangen, dem sei der Dokumentarfilm „Höllentour“ aus dem Jahr 2004 von Pepe Danquart ans Herz gelegt. Auch wenn hier wieder eine ziemlich starke Fixierung auf das Team Telekom stattfindet, zeigt Danquart sehr eindrücklich, woher die Emotionen kommen, die Menschen wie mich von der Tour schwärmen lassen. Die Musik, die Till Brönner damals zum Film gemacht hat, ist für mich heute noch der Soundtrack der Tour.
In diesem Sinne: Allez! Allez Allez!