Da ist sie wieder: Die Nichtwähler-Debatte. Alle Jahre wieder steht die politische Kaste in Person von Politikern, Journalisten, Wissenschaftlern, Halb-Gelehrten und Infostand-Betreibern vor dem gleichen Problem: Wie kann man die Nichtwähler umstimmen?
Landauf Landab wird darüber schwadroniert, wie mann denn diese mittlerweile scheinbar größte politische Kraft begeistern könnte, um sie für die eigenen Zwecke einzuspannen. Denn es hält sich immernoch der Wunschglaube, dass man diese 25 bis 30% des Wahlvolks mit dem einen Kniff umstimmen könnte.
Dann könnte die SPD noch gewinnen, die Grünen würden wohlverdient zur Volkspartei aufsteigen oder bei den Piraten spräche man endlich für den Teil der Bevölkerung, die doch ob ihrer Sozialisation eigentlich selbstverständlich zur orangenen Kernklientel gehören müssten. 30% der Deutschen sind doch besimmt daueronline.
Etwas zuviel Konjunktiv? Tja… So ist das nun mal mit dem Wunschglaube. Mit der Realität hat er wenig zu tun.
Schaut man sich die Nichtwähler an, so findet man einen bunten Mix an Gründen und Motivationen, die den oder die Einzelne vom Urnengang abhalten. Da ist der Wunsch nach dem Charakterkopf genauso zu hören wie der Traum von Klarheit, Einfachheit und Gerechtigkeit. Erstwähler begründen ihr Nicht-Wählen gar damit, dass die Parteien ihre individuellen Interessen nicht vertreten.
Auf die pauschale Unzufriedenheit der hartnäckigen Stimmverweigerer gehe ich an dieser Stelle nicht ein, weil sich damit jede konstruktive Debatte ausheben lässt.
Was die Nichtwähler eint, ist das globale Mittel des „Nicht Wählens“. Klingt banal, muss aber gesagt werden. Denn es trennt sie untereinander viel mehr als sie verbindet. Jeder will etwas anderes. Wenn er etwas will. Kaum jemand ist bereit, Kompromisse einzugehen und immer wieder kommt die Forderung, nach einer „starken“ Kraft. Sei es ein Mann, eine Frau oder gar eine Bewegung.
Hier muss man als Demokrate aufhorchen und sich fragen, was da gerade falsch läuft.
Wir müssen wieder mehr erklären! Und mit „wir“ meine ich die gesamte politische Kaste. Doch – Vorsicht Irrtum – wir müssen nicht unsere Ideen erklären, um den Nichtwähler zu gewinnen. Wir müssen Politik erklären!
- Es gibt nur sehr selten ein einfaches „richtig“ oder „falsch“ – es gibt meist unterschiedliche Ansichten.
- Parteien sind keine Anwälte von Einzelinteressen sondern bündeln (im Idealfall) Strömungen, die sich unter gemeinsamen Werten zusammenfinden.
- Ziel von Politik ist nicht der Kampf bis zum letzten Tröpfchen Blut sondern die Auseinandersetzung verschiedener Ansichten auf dem Weg zu einem Kompromiss.
- Politik braucht Mehrheiten und Minderheiten. Und das Schöne an der Demokratie ist, dass diese niemals endgültig sind.
Und ja: Zur Politik gehört es, verlieren zu können. Wenn Politiker nach jedem Verlust alles hinschmeißen würden, bräuchten wir keine Parteien mehr. Wir wären eine Demokratie der Initiativen. Doch Initiativen haben ein Problem: Man muss sich nicht mit einer anderen Meinung auseinandersetzen. In Parteien und dem politischen Betrieb gehört das aber zum Alltag und ist das Fundament einer funktionierenden Demokratie.
Machen wir uns nichts vor. Die plakativen Nichtwähler, die sich darin sonnen, am 22. September ihre Stimme nicht abzugeben, werden wir kaum umstimmen. Die haben unter allen Einzelinteressen, die sie als endlose Ansprüche an die Parteien formulieren, ihren Common Sense darin gefunden, grundsätzlich dagegen zu sein. Konkrete Alternativen formulieren sie selten.
Überzeugen können wir aber diejenigen Nichtwähler, die Aufgrund von Unkenntnis nicht wählen und die meinen, in der Politik ginge es zu, wie in einer Familie, wobei jeder Wähler das Oberhaupt ist und allen anderen sagt, was zu tun ist. Politik ist eher wie der Küchentisch in einer WG. Man kann über alles streiten. Doch am nächsten Morgen trifft man sich spätestens beim Zähneputzen.
Wie hoch wird in einer Woche die Wahlbeteiligung sein? Vor 4 Jahren war sie bei 71%. Wenn es jetzt >>68% erreicht werden, können wir noch zufrieden sein. Möglich ist aber auch ein Wert darunter. Da gleichzeitig die Kopf Kopf-Wahl in Hessen ist, könnte die dortige Wahlbeteiligung den Prozentsatz leicht heben. Aber es ist auch ein Minuseinfluß aus Bayern vorstellbar. Denn 2 Wahlen in 8 Tagen sind für manche Zeitgenossen schon zuviel der demokratischen Zumutung. Und warum diese Entwicklung? Ein Mysterium? Nein, eine logische Langzeitfolge des nun 40jährigen Werte- und Tugendwandels. Hin zu mehr Fun und Rechten und abwärts für Verantwortung und Pflichten. Zum Glück nicht bei allen, aber doch bei zu vielen! Diese der Gesellschaft schädigende Entwicklung (Privat vor Gesellschaft) muss ja irgendwann auch seine undemokratischen Früchte zeigen. Diese Früchte werden immer größer.