Reichstag Schwarz-Rot-Gold

Lasst uns die Freiheit feiern!

Als vor 25 Jahren die Mauer fiel, war das Thema Freiheit in Deutschland plötzlich sehr konkret. Die eine Hälfte der Deutschen konnte sie zum ersten Mal erleben und die Anderen merkten, dass es einen Wert gibt, den man zwar alltäglich erleben und genießen kann – selbstverständlich ist er aber nicht. Im Herbst 1989 konnte man willkürlich Menschen auf der Straße ansprechen und bekam einen Eindruck davon, was Freiheit bedeuten kann.

Heute führen wir keine Freiheitsdebatten mehr. Jedenfalls keine, die eine breite Öffentlichkeit interessieren. Es geht nicht mehr um das Reisen, die Äußerung der eigenen Meinung oder die Möglichkeit, diese Meinung öffentlich zu verbreiten. All das scheint heute selbstverständlich zu sein. Spanien und England sind nur einen Billig-Flug entfernt, an Küchentischen, in der Mittagspause und auf Schulhöfen wird gesagt, was einem in den Sinn kommt und wer will, kann seiner Meinung Flügel schenken und sie so oft er will im Internet veröffentlichen.

Freiheit ist alltäglich. Jeder hat sie. Jeder kann was draus machen. Zumindest bei uns.

Im Jahr 2014 ist die Freiheit in Deutschland wie ein verschlissenes Handtuch in einem gemütlichen Hotel in der Provinz. Sie wurde schon hunderte Male genutzt, immer wieder gewaschen und ordentlich drapiert, aber so langsam läuft sie Gefahr, brüchig zu werden.

Das Problem ist, dass wir diese Entwicklung nicht sehen können. Nur fühlen.

Denn das alte Handtuch im Hotel sieht solange gut aus, wie es zusammengefaltet auf dem Regal liegt. Nehmen wir es aber in die Hand und benutzen es, merken wir schnell, wie dünn es in den Jahren geworden ist, wie instabil auch.

Auch an der Freiheit haben sich viele von uns lange Jahre ganz selbstverständlich trocken gerubbelt. Wir haben diesen Wert benutzt wie ein Hotel-Handtuch. Genommen, uns die Stürme des Alltags abgewischt und es dann unachtsam zu Boden geworfen. Es gibt ja genug davon.

Aber was ist, wenn das Handtuch reißt?

Deutschland 2014 lebt in einer permanenten So-geht-das-nicht-weiter-Mentalität. Gefühlter Untergang aller Orten. Gewalt, Bankenkrise, soziale Verwerfungen und vermeintlich verantwortungslose Politiker lassen auch den größten Optimisten an der Zukunftsfähigkeit des Status Quo zweifeln. Eins ist sicher: Es wird schlimmer.

Mein Freund Christian Bangel hat dieser Tage in der ZEIT auf die letzten 25 Jahre deutscher Zeitgeschichte zurückgeblickt. In Frankfurt (Oder) aufgewachsen, versuchte er nach dem Fall der Mauer Wessi zu werden, stellt heute aber mit gewissem Stolz fest, Ossi geblieben zu sein. Sich selbst bezeichnet er heute als „Skeptiker der deutschen Mainstream-Debatten“ und weiß, dass er da nicht allein ist.

Seinen Rückblick schließt er mit einem Satz ab, der mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will: „Manchmal fürchte ich, dass ich eine zweite Revolution erleben werde.“ So wie ich ihn verstehe, meint er das nicht gänzlich negativ oder ängstlich. Es schwingt sogar ein bisschen Hoffnung mit, dass sich die Zustände verbessern können. Notfalls eben auf revolutionären Pfaden.

Mich lässt das ein ganzes Stück ratlos zurück. Ich kann und will nicht erkennen, dass wir uns in einem Strudel des Niedergangs befinden, der nur durch einen Umsturz aufgehalten werden kann. Vielmehr müssen wir unser Selbstverständnis immer wieder neu definieren und auch erklären, was die Freiheit heute bedeutet, die unsere Eltern-Generation vor 25 Jahren für und erkämpft hat.

Ja, wir haben viele Probleme, die wir lösen müssen. Seien es die Flüchtlinge, die in einer Phase des demografischen Wandels zu uns kommen, der uns eigentlich dazu zwingt, Zuwanderung aktiv zu gestalten und nicht ihr ohnmächtig gegenüber zustehen. Oder seien es die Herausforderungen der Digitalisierung, denen wir immer noch mit Ängsten des 20. Jahrhunderts begegnen, anstatt sie konstruktiv zu gestalten.

Ich denke, wir müssen unsere Freiheit neu mit Leben füllen. Der besorgte Blick nach vorn ist hier kein guter Begleiter. Denn mit diesem Blick begegnen wir Menschen, die auf uns zukommen. Wir haben heute die Freiheit, unsere Arme zu öffnen, Menschen an uns heran zu lassen und ihnen zu zeigen, was wir aus 25 Jahren Freiheit gemacht haben.

Ein Land, das für viele Menschen ein erstrebenswertes Ziel ist. Eine wehrhafte Demokratie, die auch die absurdeste Meinung aushält und eine grundsätzliche Stabilität, die Generationen vor uns nie erleben durften.

Lasst uns in den nächsten Tagen die Freiheit feiern! Lasst uns streiten, lasst uns bewegt auf den Herbst 1989 zurückblicken und mit Zuversicht nach vorn schauen. Lasst uns auch einmal vor Freude taumeln. Und wenn er einer stürzt, helfen wir ihm wieder auf.

Wir können das! Wir müssen es nur wollen.

 

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