Sind wir 80 Millionen Piraten?

Eingang zur Kantine des Berghain in Berlin FriedrichshainDie Krise wurde gestern Abend ganz besonders groß geschrieben. Denn es ging nicht nur um eine Vertrauens-, die Wirtschaftskrise oder irgendeine andere weniger wichtige Sache. Es ging um die Krise der repräsentativen Demokratie. Also streng genommen um unser System. Ergo: Systemkrise. Oh oh…

Auf Einladung der Einstein Foundation Berlin durfte ich in der Kantine des Berghain – coole Location für eine politische Diskussion – zur Frage „Wie werden wir regiert?“ debattieren. Damit es nicht langweilig wird, saßen neben mir die Wissenschaftlerin Stefanie Wöhl, Miriam Seyffarth als Vertreterin der Piratenpartei und Oliver Wiedmann von Mehr Demokratie e.V.

Als Vertreter einer Volkpartei hatte ich etwas die Befürchtung, die Rolle des Prügelknaben zu bekommen, doch dem war dankenswerter Weise nicht so. Die Diskussion startete mit einem Impuls von Stephanie Wöhl, die zur Krise der repräsentativen Demokratie forscht. Sie malte ein sehr düsteres Bild, dem ich mich so nicht ganz anschließen wollte, aber das war nur ein Aspekt, den wir diskutiert haben.

Einig waren wir uns in der Runde darüber, dass sich so Manches verändern muss. Dissens bestand darin, wie das zu passieren hat. Die Position von Miriam Seyffarth als Piratin muss ich wahrscheinlich nicht weiter ausbreiten, da diese momentan sehr präsent ist. Oliver Wiedmann sprach sich für mehr Formen direkter Demokratie aus, durchaus aber im Bewusstsein, dass dies nur eine Ergänzung zum repräsentativen Parlamentarismus sein kann.

Wir stritten uns über die Rolle von Politikern, ich durfte die Idee der Volkspartei verteidigen auch wenn das in der Runde nicht unbedingt auf fruchtbaren Boden viel. Sei es drum.

Schon während der Veranstaltung und dann aber auch heute Morgen verfestigte sich bei mir jedoch irgendwie ein Eindruck, der etwas befremdlich wirkte. Alle Mitdiskutanten nahmen scheinbar völlig selbstverständlich den politisch aktiven Bürger als gesetzt an. Aus der individuellen Perspektive einer aktiven Piratin, einer forschenden Wissenschaftlerin und eines Kämpfers für mehr Bürgerbeteiligung ist das auch durchaus nachvollziehbar.

Aber entspricht es der Realität? Sind wir wirklich 80 Millionen potentielle Piraten? Wollen denn wirklich alle mitmachen und tun es nur nicht, weil sie im Vogtland keinen schnellen Internetanschluss haben? Ich denke nicht.

Vielmehr glaube ich, dass es viele Menschen gibt, denen das regelmäßige Wählen schon ein wenig auf den Keks geht. Nicht, weil sie die Demokratie blöd finden, sondern weil sie nicht erkennen können, was mit ihrer Stimme passiert. Und da bin ich dann recht schnell auf der Seite der Piraten. Auch wir in den Volksparteien müssen die Türen aufmachen.

Strukturen, die seit Jahrzehnten bestehen müssen konsequent überdacht werden. Delegiertenprinzip, Listenwahl und unverhältnismäßig große Vorstände auf allen Ebenen der Partei müssen überdacht werden. Und wir kommen nicht mehr drum herum, unsere Diskussionen zu öffnen. Denn der Bürger will sehen, was mit seiner Stimme passiert.

p.s.

Vielen Dank an die Einstein Foundation für den spannenden Abend und vielen Dank auch an Bettina Mittelstraß für die kluge und animierende Moderation.

Ein Gedanke zu „Sind wir 80 Millionen Piraten?

  1. Zenepe

    Das Konzept einer Volkspartei, ist auch zugegebenermaßen nicht wirklich aktuell anwendbar, wenn man sich das gegebene Spektrum anschaut. Ob es eine Zukunft hat muss sich auch noch herausstellen.

    Antworten

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