Ich bin Ossi. Ob ich das sein will, hat mich bei meiner Geburt keiner gefragt. Stört mich aber auch nicht. Ist halt so. Aber ich bin nicht allein. Wir sind in der Regel zwischen 1975 und 1985 geboren und wir kommen aus dem Osten. Aus einem Land, das DDR hieß. Wir sind die dritte Generation Ostdeutsch.
Je länger unser Geburtsjahr zurückliegt, desto intensiver haben wir dieses Land selbst aktiv erlebt. Meist im Kindergarten oder in der Schule. Wir kennen den Geschmack von Nudeln mit Tomatensoße in der Hausspeisung, wissen welche Form eine sozialistische Milchtüte hatte und erinnern uns an Erich Honecker. Denn der strahlte im Eingangsbereich unserer Schule oder des Kindergartens von der Wand.
Aber wie haben uns diese Fakten geprägt? Bezeichnen wir uns heute als Ossis? Und wenn ja, tun wir das mit Stolz oder Scham? Sind wir offen oder verschlossen gegenüber unseren Mitmenschen? Schätzen wir die Familie oder sind wir uns selbst am nächsten?
Alle diese Fragen treiben mich um. Und bei diesen Fragen, weiß ich nicht, ob die Antwort mit der Tatsache zusammenhängt, dass wir – purer Zufall – hinter der Mauer das Licht der Welt erblickten. Aber das würde ich gern rausfinden. Doch dazu muss ich uns, diese dritte Generation, erst mal abgrenzen.
Vor uns waren unsere Eltern. Die zweite Generation Ostdeutsch. Und davor waren – welche Überraschung – deren Eltern. Oma und Opa. Die erste Generation. Alle dazwischen lasse ich jetzt mal ganz dreist aus. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit nehme ich diese Konstellation als mehr oder minder prototypisch an. Erste, zweite und dritte Generation. Alle irgendwie Ostdeutsch und alle vereint in der Erinnerung an Spreewälder Gurken aus uncoolen Gläsern und Helga Hahnemann im Samstagabendprogramm.
Die erste Generation war eigentlich gar nicht Ostdeutsch. Unsere Großeltern haben viel Schlimmes miterleben müssen. Geboren in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts erlebten sie den Aufstieg des 3. Reiches und dessen Niedergang. Der Krieg kam und brach in alle Familien ein, Freunde und Verwandte wurden getötet und als Oma und Opa endlich erwachsen waren, lag ihre Heimat in Trümmern vor ihnen da.
Sie lebten zwischen der Oder und der Elbe, zwischen Rügen und dem Thüringer Wald. Entweder waren sie dort geboren oder wurden in den Wirren des Krieges dorthin vertrieben. Und dann kamen Besatzer. Fast überall sowjetische Soldaten. Nur in Thüringen standen zum Großteil Amerikaner. Aber das nur kurz.
Die Weltgeschichte drehte sich weiter, so dass unsere Großeltern irgendwann Ostdeutsche waren. Aber so nannten sie sich nicht. Sie lebten in der Zone, sagten sie. Der SBZ. Und dann, ab 1949, in der DDR. Aber auch das war erst mal nur eine Abkürzung. Wie auch immer: Sie waren – gewollt oder nicht – die erste Generation Ostdeutsch.
Ihre Kinder – unsere Eltern – wurden in diese DDR hineingeboren. Sie nahmen sie als selbstverständlich an. Oma und Opa verstanden das manchmal nicht. Obwohl ihre Kinder nur das erlebten, was sie selbst vielleicht im 3. Reich als „normal“ verstanden hatten.
Unsere Eltern waren die ersten echten Ostdeutschen. Ihre Geburt war Made in GDR, das Bildungssystem, die Gesundheitsversorgung und auch der mehr oder minder organisierte Alltag war vom Staat geprägt. Es gab Pioniere und FDJ-ler, Ernteeinsätze, Staatsbürgerkunde und Kampfgruppen in den Unternehmen. All das war normal. Ob es gut oder schlecht war, lag im Auge des Betrachters.
Als unsere Eltern Anfang zwanzig waren, traten wir in ihr Leben. Was uns heute als unheimlich früh vorkommt, war in der 70er 80er Jahren in der DDR völlig normal. Geheiratet wurde noch vor dem 25 Geburtstag und wenn bei Papa und Mama der 30. Anstand, waren die Kinder fast schon in der Schule.
Das waren wir. Geboren zwischen 1975 und 1985 – vielleicht auch etwas früher – und aufgewachsen im real-existierenden Sozialismus. Wir haben noch Erinnerungen an die Zeit vor 1989. Die Älteren bis hin zur FDJ, die Jüngeren an das blaue Halstuch der Jungpioniere oder zumindest den Kindergarten, in den wir alle gingen, weil Papa und Mama arbeiteten.
Was uns als „Dritte Generation Ostdeutsch“ ausmacht, möchte ich gern erkunden. Natürlich sind wir nicht alle gleich, wir erkennen uns auch nicht unbedingt, wenn wir uns im Zug gegenüber sitzen, aber wir sind ein historischer Fakt. In loser Folge und mit verschiedenen Formaten werde ich mich in nächster Zeit der Frage stellen: Was macht unsere Generation aus?
Anregungen und Gespräche beim Kaffee sind sehr willkommen!
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