Wie sieht sie aus, die gute Debatte im Netz? Gibt es ein Rezept, ein Handbuch oder vielleicht sogar eine Checkliste? Schließlich ist es doch im Grunde ganz einfach: Wir wollen die offene, freie, ehrliche, zielorientierte und für alle Beteiligten gewinnbringende Debatte im Netz. Das sollte doch kein Ding sein!
Leider ist es genau das. Ein Ding. Und kein leichtes. Schließlich ist die kurze Geschichte der Online-Partizipation gepflastert mit großen Ideen und ehrenwerten Ansprüchen aber eben auch mit meist überschaubaren Erfolgen oder gescheiterten Projekten. Die Liste der erfolgreichen Online-Dialoge ist kurz. Ganz besonders, weil der Erfolg zu oft an Ergebnissen bemessen wird. Denn wenn diese Ergebnisse nicht dem erklärten Ziel des Wertenden entsprechen, war es das mit dem Erfolg.
An dieser Stelle wird ein Grundproblem deutlich, das mir bereits an anderer Stelle aufgefallen ist, als ich mich mit dem Phänomen der politischen Beteiligung im Rahmen von Bürgerinitiativen und anderen Ein-Thema-Gemeinschaften beschäftigt habe. Ein Problem, dass leider auch immer mehr zum politischen Geschäft gehört:
Unserer Debattenkultur fehlt der Wille zum Ausgleich. Wir begeben uns heute nicht mehr mit dem Bewusstsein in eine Auseinandersetzung, dass am Ende der Abwägung verschiedener Positionen und Argumente ein Konsens steht. Wir agieren nach dem Highlander-Prinzip: Es kann nur einen geben.
Warum das so ist, kann ich nicht abschließend sagen. Mein Eindruck ist, dass wir zur Ideologisierung des Alltäglichen neigen, weil uns die großen Ideologien für etwas mehr als 20 Jahren abhandengekommen sind. Jens Best stellt dieser These aber die sehr reizvolle Position entgegen, dass wir es mit persönlichen Engstirnigkeiten zu tun haben, weil wir in einer Gesellschaft leben, die „eine übersteigerte Bedeutung der Individualität wie eine Monstranz vor sich herträgt.“
Wie auch immer. Das Problem ist benannt und die Frage ist, wie wir nun damit umgehen können. Helfen verschärfte Regeln in Online-Foren? Braucht es Schließzeiten, Heerscharen von Moderationsteams oder viel digitale Prominenz, um einen Online-Dialog auf die Startseite von SPIEGELonline zu spülen? Ich denke nicht.
Wenn alle diese Fragen mit ja beantwortet werden, ist das oben beschriebene Grundproblem noch nicht mal in Sichtweite. Ich denke es braucht in erster Linie einen langen Atem. Ein Dialog braucht Zeit. Gerade dann, wenn er nicht in einem debattenerfahrenen Umfeld stattfindet. Und die Grundannahme jedes Bürgerdialogs muss deshalb sein, dass der potentielle Teilnehmer unerfahren ist.
Es ist bei der Online-Partizipation wie beim Umzug in eine neue Stadt. Wenn ich die Gegebenheiten vor Ort nicht kenne, mir der Einblick in Beziehungsgeflechte fehlt und mir in meinem Umfeld schlicht niemand bekannt ist, gehe ich erst einmal langsam vor. Ich schaue zu, höre mir an, was gesprochen wird und wer wie reagiert. Sollte ich einen Anknüpfungspunkt finden, steige ich ein. Wenn nicht, dann nicht.
Natürlich gibt es auch die Hans Dampfs, die überall Anschluss finden, spontan in Debatten einsteigen und keine Berührungsängste haben. Der Regelfall sind sie aber meines Erachtens nicht.
Bin ich dann im besten Fall angekommen und bereit mitzumachen, passe ich mich und mein Verhalten an die Gegebenheiten an. Und wenn ich dann merke, dass hier das Highlander-Prinzip gilt, stelle ich mich darauf ein. Leider sind die Begleiterscheinungen genau das, was wir eigentlich nicht wollen. Die Polemik ist allgegenwärtig, Sachthemen werden personalisiert und die mehr oder minder formvollendete Beleidigung gehört genauso zum vermeintlich guten Ton wir der gelegentliche Schritt über die Grenzen des guten Geschmacks. In verschiedenen Eskalationsstufen lässt sich das in Debatten des Bundestages, bei Kommentare in Online-Medien und bis zu Fanseiten von Politikern und ihren Parteien verfolgen. Es wird gestänkert, gepöbelt und – achtung neues Wort: getrollt.
Dem wird man nur Herr, wenn die Moderation eines Forums auf Basis von klaren Regeln agiert und mit einer Engelsgeduld dafür sorgt, dass diese Regeln eingehalten werden. Und das heißt im Zweifel löschen. Wer pöbelt und beleidigt, fliegt raus. Wer die Kommentarfunktion für Co-Referate nutzt, ohne sich konstruktiv zu beteiligen, fliegt raus. Und es fliegt auch raus, wer eine Debatte torpediert und stört, weil sie sich nicht in seine Richtung bewegt.
Viele Moderatoren arbeiten heute schon so. Doch sie müssen sich leider noch viel zu oft dafür rechtfertigen.
Für eine funktionierende Beteiligungskultur brauchen wir eine Art digitales Hausrecht. Jeder Anbieter legt fest, was in seinem Forum gestattet ist und was nicht. Dazu braucht es kein Gesetz. Es braucht ein Klima der gegenseitigen Achtung und die Bereitschaft, sich auf einen Konsens einzulassen.
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