Die SPD lässt ihre Mitglieder über den Koalitionsvertrag entscheiden, die FDP steht plötzlich in der mehr als ungewohnten außerparlamentarischen Opposition und in der CDU monieren mehr oder weniger „junge Wilde“ verschiedene Passagen der frisch ausgehandelten Koalitionsvereinbarung. Und über allem schwebt die immer gleiche Frage: Sind Parteien noch zeitgemäß?
Die Frage ist nicht neu. Sie ist nicht einmal originell. Sie gehört zur Demokratie wie die ewige Debatte um das nie ganz perfekte Wahlrecht und die Gewichtung der verschiedenen Verfassungsorgane. Und doch ist die Frage sehr berechtigt. Gerade weil wir angesichts von Stuttgart 21, Fluglärm im Süden Berlins und bei der Frage, wie und wo die Energiewende in die Tat umgesetzt werden soll, momentan eher auf eine Demokratie der Bürgerinitiativen zusteuern. So scheint es zumindest.
Wenn am kommenden Wochenende in Berlin die „Hochleistungsschlitzmaschinen“ angeworfen werden, um die wahrscheinlich mehr als 300.000 Briefe von der Basis zu öffnen, mit denen über den ausgehandelten Koalitionsvertrag entschieden wird, steht ein Teil der Deutung im Willy-Brandt-Haus schon mal fest: Die SPD ist wieder da!
Nicht als Wahlsieger bei der zurückliegenden Wahl, auch nicht bei den Sonntagsfragen, denn hier schleicht die SPD immer noch um die deprimierende 25%-Marke herum aber immerhin hat man mit dem Mitgliederentscheid in Sachen Beteiligung „neue Maßstäbe gesetzt.“ Das sagt zumindest Sigmar Gabriel. Na dann wird es stimmen.
Man kann dieses Mitgliedervotum aber auch kritisch sehen. Schließlich haben die rund 475.000 Mitglieder der SPD von Ihrer Parteiführung ein Wahlrecht übertragen bekommen, das unser Grundgesetz nicht vorsieht. Sie können die zukünftige Regierung wählen oder ablehnen. Die Mitglieder der CDU, der Grünen, der Linken, der Liberalen, der vielen anderen Parteien und vor allem die Millionen Wahlberechtigten ohne Parteibuch können das nicht. Die dürfen nur das Parlament wählen. Aber Kritik ist unseriös. Sagt zumindest Sigmar Gabriel. Nun denn.
Bei der Union läuft das anders ab. In Bayern entschied der Vorstand der Christsozialen, ob ihre Partei dem ausgehandelten Koalitionsvertrag zustimmen kann. Bei der CDU gab es – wie gehabt – einen kleinen Parteitag, der mit großer Mehrheit zustimmte. Geräuschlos ging es trotzdem nicht vonstatten. Die Wirtschaftspolitiker in der Union formulierten ihre Kritik ebenso wie eine Gruppe junger Politiker, die auf die negativen Auswirkungen der Rentenpolitik für die jüngere Generationen verwiesen.
Aber die „jungen Wilden“ gehen in ihrer Kritik auch noch weiter. Auf www.cdu2017.de fordern sie eine zukunftsorientierte Idee der „Volkspartei“ und machen auch konkrete Vorschläge. Einige Punkte finde ich besonders bemerkenswert, weil sie der parteiinternen Realität diametral entgegenstehen:
- Starre Parteistrukturen sollen der Vergangenheit angehören.
- Die besten Köpfe und Ideen sollen eingebunden werden. Nicht nur die Stammtisch-Sitzer.
- Die Partei-Arbeit muss noch stärker als bisher offen, dialogorientiert und kampagnenfähig gestaltet werden. Was einer Absage an die bisher meist im Hintergrund tagenden Bundesfachausschüsse gleich kommt.
Um diese Vorschläge umzusetzen, bieten sich viele verschiedene Wege an. Ich denke, es ist an der Zeit, eine Kommission unter Leitung des Generalsekretärs einzusetzen, die bis zum Parteitag im Herbst 2014 ein Konzept zur Zukunft der CDU vorbereitet. Ziel muss es sein, die Idee der Volkspartei mit neuem Leben zu füllen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat mit Ihrem Projekt www.zukunftvolkspartei.de viele Anregungen zusammengetragen. Auch wenn man nicht der Versuchung erliegen sollte, sich alles dort geschriebene einfach anzueignen.
Die Parteien-Dämmerung ist da. Nicht schon wieder – viel mehr immer noch. Denn jede Wahl kann eine Partei vor eine ganz neue Situation stellen. Das Abschneiden der FDP bei der zurückliegenden Bundestagswahl ist dafür ein sehr gutes Beispiel.
Parteien müssen sich deshalb immer wieder neu erfinden. Dass sie dabei unterschiedliche Wege gehen, ist kein Nachteil. Denn der demokratische Wettbewerb findet nicht nur alle paar Jahre an den Wahlurnen der Republik statt. Er manifestiert sich an jedem neuen Tag, an dem die Parteien ihren Mitgliedern und interessierten Neu-Mitgliedern ein Angebot unterbreiten müssen, damit die sich zu ihrer Partei zu bekennen und an der politischen Arbeit aktiv zu beteiligen.
Was dämmert noch zu vielen nicht?
Das sie demokratisch nicht mehr gebraucht werden könnten.
Basis voran! Sie marschiert zum Heil auf dem verantwortungslosen Weg.
Die SPD, die Stammtische und auch alle Linksintellektuellen haben das höchste Lied der Basis gesungen. Allen voran auch die, die sich selbsternannt auch immer für die Basis verantwortlich fühlen. Selbstverständlich auch die, die hinterher immer alles schon vorher gewusst haben.
Dass sie bei diesem Gesang auch auf die falschen Töne bis hin zum Stimmbruch gesetzt haben könnten, kommt ihnen nicht in den Sinn. Ich warte nur auf den SPD-Ersten, der nach Fehlern in der Gesetzgebung erklärt, nicht verantwortlich zu sein und reumütig beklagt, dass er ja nicht sachlich richtig entscheiden konnte, weil er leider seiner Basis folgen musste. Sonst? Sonst hätte man ihn nicht wieder nominiert oder als Vorstand davon gejagt. Aber so ehrlich werden die dann nicht sein.
So wird die Stimme des allgemeinen Wahlvolkes geteilt in eine Ernennung und in eine Verantwortungsstimme, die sich dann in den Weiten der Mitglieder bis zur Unkenntlichkeit verliert.
Außerdem haben wir jetzt ja auch zwischen den normalen Wählern und den Mitgliedern der SPD eine demokratische Konkurrenzsituation. Nur haben die den längeren Hebel. Jetzt ist das noch mal gut gegangen. Aber es droht der Tag, dass dieses Wahl-Recht des letzten Wortes Wiederholungen erfährt. Kommt dann die Situation, dass dieses Recht auch die Mitglieder der anderen Parteien beanspruchen?
Damit hätten wir dann endgültig eine demokratische Zweiklassengesellschaft, bestehend aus den bisher im Zweifel immer für den Wahlausgang verantwortlichen Normalwählern und den sich im permanenten Wahlkrieg gegen- und wechselseitig bekriegenden Mitgliedern der Parteien. Dämmert’s Ihnen jetzt?
Was wir brauchen ist pragmatische Menschlichkeit für alle.
Es ist ja wohl unbestritten, dass in einer Demokratie der Wähler am Wahltag die Verantwortung für den Staat hat. Die gibt er an den Mandatsträger ab. Dass der die dann beliebig nach den Umständen weiterreicht um letztlich sagen zu können, ich habe keine Verantwortung mehr, kann ja wohl nicht vorgesehen sein. Denn auf diesem Wege geht die Verantwortung im Nichts der parteilichen Vox Populi verloren. Warum künftig noch wählen gehen, wenn niemand mehr verantwortlich sein könnte?
Selbstverständlich brauchen wir Parteien. Denn wer sonst soll aus 60 Mio. Stimmen die Quintessenz ziehen? Was wäre denn die Alternative? Nur wer sich persönlich betroffen fühlt agiert! Gar alle Schreihälse an die Front? Nur wer ideologisch unbeirrbar ist, der wird überall dabei sein. Das wäre dann eine Trennung zwischen der „sprachlos grauen Masse“ und denen, die die ihre teilweise extremen Ansichten zur Macht verhelfen wollen. Nach dem Motto: „Nur wer sicht beteiligt, kann ein Demokrat sein“?
So geht das auch nicht, denn auch der Stumme hat ein Recht darauf, nach allgemein gültigen Werten regiert zu werden.