Die Diskussion um Sinn und Unsinn einer Volkspartei führen wir in letzter Zeit viel zu selten. Denn immer öfter wird die programmatisch-politische Kante bei einzelnen Themen gegen genau das ausgespielt, was die Volkspartei eigentlich ausmacht: Ihr Charakter eines gesellschaftlichen Gemischtwarenladens.
In der SPD und rund herum wird aktuell darüber diskutiert, was sozialdemokratisch ist. Ein eigentlich guter Ansatz, dem aber leider der Anspruch abgeht, dieses inhaltliche Ziel unter Einbeziehung breiter gesellschaftlicher Gruppen anzustreben. Das Projekt „Kante“ zum Gegner ist da gefühlt und gelebt viel wichtiger. Ähnlich läuft es zurzeit an den Stammtischen der CDU.
Landauf landab kann man jeden Ortsverband auf seine Seite bringen, wenn man sich unvermittelt an den Tisch setzt und auf der Prinzipienlosigkeit der Kanzlerin herum hackt. Wenn man dann noch fordert, dass alte Geister wie Merz, Koch und wie sie alle hießen, wiederkommen, kann es schon mal sein, dass man im Strudel der Euphorie als neuer Ortsvorsitzender den Abend beendet.
Will man das Gegenteil bewirken, muss man nur laut und deutlich sagen, dass „unsere Angela“ beim Atomausstieg und der Wehrpflicht alles richtig gemacht hat. Wer sich rhetorisch trainieren möchte und auch kein Problem mit verbalen Aggressionen hat, kann das ja mal ausprobieren. Es klappt bestimmt auf der schwäbischen Alb wie auch in Berlin-Kreuzberg.
Dass es auch bei den alten Geistern einige gegenteilige Auffassungen gibt, wird leider meist nicht thematisiert. Anders ist es nicht zu erklären, dass es Erwin Teufel mit seiner Kritik in jede Diskussion geschafft hat, Bernhard Vogel aber gänzlich ungehört bleibt.
Volkspartei vs. Bürgerinitiative
Hinten runter fällt bei diesen „Diskussionen“ das Grundanliegen einer Volkspartei. Viel zu selten wird sich bewusst gemacht, dass es eben gerade gut ist, sich in einem gesellschaftlichen Gemischtwarenladen zu bewegen. Denn nur hier können alle Themen, die uns als Gesellschaft im Ganzen beschäftigen, breit und aufgrund unterschiedlichster Perspektiven debattiert werden.
Das geht den Bürgerinitiativen und 1-Themen-Parteinen gänzlich ab. Dort sitzt man mit Seinesgleichen am Tisch oder vor dem Online-Forum und versucht aus jedem einzelnen Problem eine gesellschaftliche Mehrheitsmeinung zu entwickeln. Sei es die Windkraftanlage hinterm Haus, der lärmende Kindergarten um die Ecke oder das Wasser der Hauptstadt.
Hinzu kommt, dass sich die so Engagierten derart vertiefen und in ihr Thema hineinleben, dass viele andere Probleme ausgeblendet oder an das eigene Thema provisorisch und rhetorisch herangedichtet werden. Ansonsten gilt mit voller Härte das Prinzip „Kante“. Alles andere ist unwichtig.
Nachdem aber nun andere Themen ausgeblendet wurden, werden im nächsten Schritt bei vielen „bewegten“ Menschen andere Lebensentwürfe von einem Grauschleier des Verständnislosen überdeckt. Man denkt nicht mehr an den Anderen, die Gegenmeinung oder die Menschen, die mein Steckenpferd gar nicht interessiert. Natürlich abgesehen von den Menschen, die sich berufen und getrieben fühlen, im Namen einer stimmlosen Gruppe zu sprechen.
Anders in einer Volkspartei. Dort erlebe ich bei meinem ersten Stammtischbesuch, dass es schon in dieser Runde viele unterschiedliche Meinungen gibt. Es gibt Arbeitnehmer und Selbstständige. Es gibt Angestellte und Beamte. Es gibt junge und alte Leute. Da sitzt – im besten Sinne – der gesellschaftliche Querschnitt bei Bier und Mett-Brötchen beisammen und diskutiert das, was sonst nur abends auf öffentlich rechtlichen Sendern in der Breite ausgekippt wird.
Gesellschaftliche Relevanz versus Einzelinteressen
Das ist der Sinn einer Volkspartei. Denn nur so wird jede Diskussion und jedes Thema von Beginn an einer Relevanzprüfung unterzogen. So muss man sich mit dem Beginn einer Debatte sofort gegen diejenigen zur Wehr setzen, die das nicht für wichtig halten. Diese Prozedur schult in jedem Fall die Rhetorik aber, und das ist viel wichtiger, sie differenziert das thematische Spektrum in zwei Bereiche: Zum einen in gesellschaftlich relevante Themen und dem gegenüber die Partikularthemen und Einzelinteressen.
Dafür ein Beispiel:
Wenn ich als Hausbesitzer mit dem Zustand der öffentlichen Straße vor meiner Haustür nicht zufrieden bin, weil ich immer durch ein tiefes und bei Regen mit viel Wasser gefülltes Schlagloch fahren muss, ist das ein berechtigtes Einzelinteresse. Damit wende ich mich an die kommunale Verwaltung. Tritt dieses Phänomen aber in der gesamten Gemeinde auf und viele Menschen sind davon betroffen, dann ist es ein Thema, bei dem es sinnvoll ist, sich dafür politisch zu engagieren.
Wenn das Thema „Schlaglöcher“ dann die harte Schule einer Ortsverbandssitzung überstanden hat und sich gegen andere Herzensthemen der Mitglieder wie zum Beispiel die Pflege der Grünanlagen, die Situation in der Parkraumbewirtschaftung oder die Reparatur der örtlichen Grundschule durchsetzen konnte, ist es durchaus angebracht, von einer gewissen Relevanz zu sprechen.
Diese thematische „Vorauswahl“ findet in Bürgerinitiativen nicht statt.
Eine These zum Abschluss
Die thematische Partikularisierung des politischen Diskurses weg von integrativen Volksparteien und hin zu einzelinteressenorientierten Ein-Thema-Initiativen ist eine größere Bedrohung für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt als die oft artikuliert soziale Ungerechtigkeit zwischen arm und reich.
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Ja und nein, an einer Stelle:
„In der SPD und rund herum wird aktuell darüber diskutiert, was sozialdemokratisch ist. Ein eigentlich guter Ansatz, dem aber leider der Anspruch abgeht, dieses inhaltliche Ziel unter Einbeziehung breiter gesellschaftlicher Gruppen anzustreben. Das Projekt „Kante“ zum Gegner ist da gefühlt und gelebt viel wichtiger. Ähnlich läuft es zurzeit an den Stammtischen der CDU.“
Ich glaube, wenn man weiß wer man ist und was man will, die Abgrenzung zum Gegner leichter fällt und sichtbarer wird. Das Projekt „Klare Kante“ ist rein namenstechnisch jetzt auch nicht mehr so der Bringer bei uns Sozen. 🙂