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9 km Brandenburg – Im toten Winkel Berlins

Wir fuhren auf den Berliner Ring und machten uns auf den Heimweg. Die Sonne brach am ersten Sonntag des Jahres durch die Wolkendecke, blendete zuerst, bevor ihr Licht wärmte und erfreute. „Wollen wir über Land fahren?“ fragte ich und wurde bestätigt. Also nahmen wir die nächste Abfahrt und machten unseren Weg nicht mehr von Straßenschildern, sondern von der Himmelsrichtung abhängig.

An diese hielten wir uns: Osten. Jedenfalls grob. Durchfuhren Altlandsberg mit seiner wunderschönen Altstadt, den Bürgerhäusern und der Stadtmauer, machten einen Bogen um Strausberg – da können wir nach dem Winter auch wieder mit der S-Bahn hinfahren – und zielten ins Navi-Niemansland. Plötzlich tauchte ein Ort auf, dem ich mich seltsam verbunden fühlte: Garzau. Also bogen wir ab und fanden Wege vor, an denen das Tauwetter der vergangenen Tag weitgehend vorbei gegangen war.

Feldsteinhäuser reihten sich aneinander, die Straße verließ die asphaltierte Norm und ergab sich ihrer stolpersteinigen Vergangenheit. Dass diese Piste aber seit 1999 ein EU-Radwanderweg sein soll, ist ein Kuriosum erster Ordnung. Sei es drum. Die 9 km zwischen L(andstraße)233 (ab Garzau-Garzin) bis zur L35 (kurz vor Waldsieversdorf) waren das schönste Stück Landstraße, das ich seit langem sehen durfte. Grazau-Garzin und Liebenhof, ein Flecken in dem es immerhin eine Sternwarte gibt, sind kleine und sympatisch verschlafene Örtchen im toten Winkel Berlins.

Nach dem Buch von Dieter Moor suchen ja immer wieder urbane Menschen nach einem Ort der Stille, der aber dann irgendwie doch nicht so weit weg sein sollte von Berlin, wie zum Beispiel der Uecker-Randow-Kreis in Vorpommern. Aber Landleben, Ruhe und Tiere sollten schon da sein. Zwischen L233 und L35 sind solche Orte zu finden. An Tagen wie heute ist die Stimmung, die von der untergehenden Sonne in die Landschaft gemalt wird, schlichtweg unbeschreiblich. Hier gilt das einfache Kredo: Hinsehen entspannt und Genießen macht glücklich.

Vielleicht kommen wir im Sommer nochmal wieder und erkunden die Gegend mit dem Rad. Auf jeden Fall war die heutige Landpartie jeden Meter wert.

P.s. Das Bild ist schon ein paar Tage älter, hätte aber auch so oder ähnlich heute entstehen können. Tatsächlich stammt es aus dem wunderschönen Etzdorf in Thüringen.

Neues Jahr, neues Glück? Kleist vielleicht…

MTV ist weg (ich vermisse es schon), VIVA hat ein neues Logo (schon wieder) und ich versuche mich nun auch privat mal an Windows7. Ja, im neuen Jahr möchte ich mich Stück für Stück von XP entwöhnen und starte meine ganz eigene technische Aufholjagd.

Aber was kommt noch in 2011?

Das kulturelle Deutschland wird irgendwie „feiern„, dass Heinrich von Kleist sich vor 200 Jahren selbst getötet hat. Kann man das feiern oder sollte man lieber einmal mehr darüber nachdenken, warum er im Herbst 1811 diesen Schritt wählte? Es wird Festspiele geben, man wird sich gegenseitig versicheren, dass der gute Heinrich ein ganz armer Tropf war und sich am Ende verwundert darüber zeigen, dass er sich mit Anfang 30 selbst die Pistole in den Mund steckte.

Soll man das wirklich mit einem „Kleist-Jahr“ feiern? Ich denke nicht.

Aber wir brauchen halt auch mal wieder einen kulturellen Höhepunkt. Und bevor in diesem Jahr gar nichts passiert, nimmt man sich halt Heinrich von Kleist vor, hebt ihn auf den Schild der Kulturnation und verkennt, dass noch heute viel zu viele Kleists an den selben Problemen verzweifeln, wie Heinrich vor 200 Jahren.

Mein quattro für die Füße

„Ich versinke im weichen Schnee. Über meiner Schulter schlägt das weiße Pulver zusammen und umschließt mich fast völlig. Mein Partner fliegt neben mir vorbei, während das gesamte Gewicht über mich drüber rollt. Ich verbeiße mich im kalten Untergrund und baue den maximal möglichen Druck auf, um stabil aus dieser Lage raus zu kommen. Ich starte, fliege blitzschnell an meinem Partner vorbei, der gerade im Schnee versunken ist, und tauche wieder ein.“

Ein Tag im Leben eines Schuhs, wie es ihn dieser Tage millionenfach gibt. Aber dies ist keine Promo für einen bayrischen Automobilhersteller, mit einigen Ringen im Wappen. Auch soll hier keine Lanze für einen Schuhhersteller gebrochen werden, dessen Marke verdächtig nach einem Wiener Delikatesskaufhaus klingt. Hier ergeht jetzt eine Hymne an einen guten Schuh. Einen Schuh, der diesem Wetter einen Großteil seines Schreckens nimmt. Der Füße warm hält, einen festen Tritt sichert und selbst bei matschigem Stadtwinter außen nass und innen trocken ist. Solches Schuhwerk kann echte Freude machen. Ich springe seit einem Tag mit neuen Schuhen durch den Winter und freue mich wie blöd, dass ich gestern kurz vor Schluss das Sonntagsshopping doch noch genutzt habe. Mehr oder minder kurz entschlossen bin ich in einen mir bekannten Outdoor-Laden reinspaziert, habe mich vor die scheunenähnliche Schuhwand gestellt (Warum muss ich mitten in Berlin Angst haben, dass ich mir beim Schuhe kaufen einen riesengroßen Splitter einfange?), auf einen Schuh gezeigt und dem netten Verkäufer deutlich gemacht, dass es dieser sein soll. Er fand es offensichtlich gut, dass kurz vor Dienstschluss noch einer kommt, der weiß was er will, nicht lange quatscht und auch nur nach Hause muss.

Also trafen sich unsere Interessen. Er machte ein gutes und unerwartetes Geschäft zu später Stunde und ich bekam endlich die Schuhe, die ich eigentlich seit Wochen brauche. Stabil, bequem und wasserdicht. Und mit einer Socke mehr – sogar warm. Jetzt, am Tag eins nach dem Kauf, habe ich das Gefühl diese Leisetreter (kein Scherz) schon seit Ewigkeiten mein Eigen zu nennen. Sie passen einfach und ich laufe jetzt wieder absichtlich neben dem geräumten Streifen auf innerstädtischen Gehwegen. Das habe ich zuletzt als kleiner Junge im Skianzug gemacht. Jetzt springe ich gleich wieder los und freue mich wie blöde auf den verschneiten Weg zur S-Bahn. Wenn diese dann mal wieder 20 Minuten auf sich warten lässt, werde ich genüsslich im Schneehaufen rumstapfen, während irgend ein halb-hipper Style-Guru neben mir in seinen Chucks friert.

Wenn Bücher plötzlich enden – Mit Dieter Moor unterwegs.

Es war so schön und einfach. Lange Zugfahrt geplant, einmal quer durchs Land. Dafür brauch ich ein Buch. Also bin ich in das Kaufhaus mit dem „D“ an der F-straße gegangen und stöberte in typischer Freitagnachmittagsgemütlichkeit durch das erweiterte Schaufenster. So kommt mir jedenfalls die Stöberhalle nahe dem Eingangsbereich vor, in der kein „Sucher“ zu finden ist. Denn diese Kunden gehen gezielt in eine der wohl bekannten und hochgeschätzten Fachbereiche des großen Hauses.

Nach kurzem Gestöber fand ich auch direkt ein Buch, das mich ansprach. Peer Steinbrücks Abrechnung mit der aktuellen Politik. Doch mit diesem unterm Arm erblickte ich das seelige Lächeln Dieter Moors auf dem Cover seines Buches „Geschichten aus der arschlochfreien Zone“. Ich weiß nicht woher, aber ich hatte von dem Buch schonmal gehört. Also musste Herr Steinbrück nochmal zurück – vielleicht hat er beim Weihnachtseinkauf mehr Glück – und ich ging mit Dieter Moor unterm Arm direkt zur Kasse.

Zwei Tage später saß ich im Zug. Den Kaffee neben mir stehend, das Schoko-Brötchen vom Bahnhof Trier zur Hälfte geknabbert und sieben Stunden Eisenbahnromantik vor mir. Erst über die Eifel und dann durch den Rest der Republik. Jetzt griff ich zum Buch, schlug es auf und begann zu lesen. Es war ein Genuß. Jeder Absatz und jede Zeile.

Auch wenn ich das Buch heute, fünf Tage nach der Zugfahrt, noch nicht fertig gelesen habe, schreibe ich, was ich darüber denke. Warum? Ganz einfach. Ich habe ein bischen Bammel davor, wenn es zuende ist. Soll heißen, den Moment des letzten Satzes will ich etwas hinauszögern. Denn dann muss ich mich wieder aufraffen und werde alle Bücher in der Auslage an diesem Leseerlebnis messen. So ging es mir zuletzt bei Sven Regeners „Der kleine Bruder“. Tolle Episoden, genialer Witz und eine U-Bahntaugliche Sprache, die das Lesen zur spaßaufgeladenen Nebensache im Alltag macht. Danach kam erstmal eine Weile nix. Gelesen habe ich Magazine und Zeitungen, aber wochenlang kein Buch.

Nun geht es mir so mit Dieter Moor. Er schreibt, wie er spricht, erzählt im Buch, wie er bei „Bauer sucht Kultur“ moderiert. Die Geschichten sind kurz, chronologisch und pointiert. Mit Moor und seiner Frau Sonja wächst der Leser in die Brandenburger Idylle hinein. Lernt Menschen kennen, fragt sich mit allen anderen Beteiligten, warum der schweizer Moderator und seine Frau in den toten Winkel Berlins gezogen sind, um dann dort ein neues Leben aufzubauen. Wenn man Dieter und Sonja Moor youtubt oder googelt, weiß man heute, warum die beiden das vor sieben Jahren gemacht haben. Mittlerweile sind sie erfolgreiche Biobauern, die von der Gründermarketingindustrie dankbar vor der Kamera zu ihrem Erfolgskonzept befragt werden (youtube).

Die Menschen, die Dieter Moor beschreibt, sind echt. Man sieht sie vor Augen, wenn er ihre Physis skizziert, ihre Eigenheiten mit scharfem (schweizerischen) Blick auf den Punkt bringt und dankbar ist, für alles besondere, was den jeweiligen Mit-Dorf-Bewohner ausmacht. Manchmal ist der oder das Beschriebene fast ungewollt komisch. Es funktioniert nur selten, wenn man einzelnen Abschnitte vorliest. Man muss das Buch und seine Geschichten kennen, um die weiteren Geschichten zu verstehen und am kleinen und gern auch versteckten Witz diebische Freude zu entwickeln. Es geht soweit, dass ich mich wiederholt dabei ertappe, stimmlos aber herzhaft in der S-Bahn, im Zug, im Bus oder im Schwimmbad in lautes Gelächter auszubrechen. Sorry liebe Mitbürger. Ich lache Euch nicht aus.

Alles in allem also ein wunderbares Buch. Eines das mich Städter dazu bringt, bei einschlägigen Immobilienportalen mal spontan nach potentiellen Stammsitzen zum Beispiel in der Schorfheide zu suchen (in Oderberg ist auch das alte Rathaus zu haben) und zu überlegen, welche Tiere vielleicht stark genug wären, um unter meinem gänzlich unfähigem Regiment ein geruhsames und erfülltes Leben zu führen. Aber das sind Hirngespinste eines P-berg Berliners für den Fall, dass der Berliner Nordwesten irgendwann nicht mehr bügerlich genug ist.

Aber jetzt noch einmal deutlich: Lesen!

Dieter Moor: Geschichten aus der arschlochfreien Zone.

Lass uns drüber reden, Diskussionen sind ok.

Haben wir ein Glück! Wir wollen wieder diskutieren. Wir wollen wieder streiten. Und nicht mal die Bundeskanzlerin kann und will sich dem entziehen. Nein, es macht ihr sogar Spaß, nach einer kurzen und hitzigen Debatte zur Geschäftsordnung zu später Stunde noch eine geheime Abstimmung zu fordern.

In Stuttgart wird laut und deutlich gestritten, im Wendland wurde – naja – demonstriert und auch bei einem CDU Parteitag wird der Zeitplan über den Haufen geworfen, um ein Thema zu debattieren, das offensichtlich viele bewegt. Mir geht es hier nicht um ein „für oder gegen“ Stuttgart21, Atomenergie oder PID. Mir geht es um den Rahmen. Die Debatten, die Diskussionen, ja ich gehe mal ganz frech so weit und sage: Um die Kritikkultur.

Für und wider kommen auf den Tisch. Es wird gestritten, emotional argumentiert und am Ende – und das ist das Beste – sehr individuell entschieden. Das ist eine wiedergefundene Kultur, die gut ist und die das Fundament unserer Demokratie stärkt.

Darüber können wir alle froh sein und mit diskutieren. Themen gibt es genug.

Schön ist auch, dass „Die Ärzte“ schon vor Jahren einen Soundtrack zu dieser Kritikkultur geschrieben haben:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=L6NqBFDphm0]

Das Facebook-Leben – oder doch das von Google?

Ich war schon einigermaßen beeindruckt von diesem Video, dass in wenigen Minuten das Leben eines Menschen im Facebook-Universum zusammenfasst. Ein alt bekannter Song, ein schneller Bildschnitt und die alte Story von Liebe und Glück.

Innerhalb von 2 Tagen wurde dieses Video fast 100.000 mal gesehen, viele haben es verlinkt, die meisten auf – genau – facebook. Aber was ist eigentlich spannend daran? Erstmal schau Dir das Video nochmal an:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=F2n8Ma7y4-I]

Spannend ist, dass dieses Video exakt dem selben Stil folgt wie die aktuelle google-Kampagne:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=CeFUiFo1ivc]

Ist nun jenem maxluere ein genialer Coup gelungen, oder was läuft hier? Jedenfalls ist es eine schöne Webstory des Tages.

Frankfurt (Oder) und sein Kleist. Wo sind die „Fanatiker“?

Man könnte meinen, der Ehrengast schockte die Zuhörer gleich zu Beginn der Veranstaltung. Eine „Jugendsünde“ sei der Film „Michael Kohlhaas – Der Rebell“ gewesen, bei dem er – Volker Schlöndorff – 1969 Regie geführt hatte. Die filmische Adaption der Novelle Heinrich von Kleists war offenbar ein Projekt des damals noch jungen Regisseurs, das nur zu Ende gebracht worden ist, weil niemand den Mut hatte, die Notbremse zu ziehen.

Eigentlich kein guter Einstieg an einem Nachmittag im Kleist-Museum, in dem mit Hochspannung dem Beginn des Kleist-Jahres 2011 entgegen gefiebert wird. Denn hier könnte man eine gewisse Sympathie für Heinrich von Kleist, dessen Werk und alles was daraus gemacht wurde, erwarten. Doch niemand steht erschrocken auf und geht. Auch wird das Bekenntnis des mit einem Oscar geheiligten Regisseurs nicht weiter diskutiert. Denn – und das ist ein Phänomen in Frankfurt (Oder) – der Held der Stadt wird hier nicht besonders gepriesen. Es umgibt ihn keine Aura des Unantastbaren und keinem Frankfurter käme es in den Sinn, sich für diesen Dichter aufs verbale Schlachtfeld zu begeben. Und schnell wird klar, weswegen die Gäste an diesem sehr sonnigen Sonntag in das Frankfurter Kleist-Museum gekommen sind. Sie wollen Volker Schlöndorff sehen. Sie wollen ihm zuhören und sie wollen ihm die eine oder andere Frage stellen. Über Kleist möchte eigentlich keiner Sprechen. Da ist ja schon alles gesagt.

Es ist eine verwirrende Stimmung, hier im Epizentrum der Vorbereitungen des Kleist-Jahres. An dem Ort, der sich wie kein anderer zur Aufgabe gemacht hat, die Erinnerung an Heinrich von Kleist wach zu halten, möchte keiner über ihn sprechen. Nicht mal als der Ehrengast Volker Schlöndorff sich als „Kleist-Fanatiker“ outet. Jetzt scheinen einige Zuhörer doch noch geschockt zu sein. Denn niemand würde sich in Frankfurt (Oder) als ein solcher Fanatiker bezeichnen. Schlöndorff wollte eigentlich Fan sagen, traute sich den Anglizismus an diesem Ort dann aber irgendwie nicht und schon war es geschehen. Mit Fanatikern lässt sich es schlecht diskutieren. Also lässt man es lieber. Die Gäste fragen nach der Blechtrommel, wollen wissen, warum die Lang-Version erst kürzlich veröffentlicht wurde, der Moderator zieht die Diskussion auf Schlöndorffs Leben und am Ende beleibt die spannendste Frage unbeantwortet: Warum war „Michael Kohlhaas – Der Rebell“ eine Jugendsünde? Volker Schlöndorff hatte mit dieser Frage gerechnet, hatte vielleicht auch ein bisschen Angst vor ihr, weil sie ihn gezwungen hätte, seine Motivation der späten 60er Jahre zu erläutern. Doch die Frankfurter sind gnädig und das dankte er ihnen mit dem abschließenden Satz beim Aufstehen: „Ich bin ganz erleichtert. Der Film ist vergessen.“

Das ist er, der Punkt an dem viele Fragen zu Heinrich von Kleist scheitern. Keiner stellt sie. Warum ist dieser Film für Schlöndorff eine Jugendsünde gewesen? Warum beschäftigt sich die Erinnerung an Kleist in Frankfurt (Oder) meist nur mit der Tatsache, dass er in dieser Stadt geboren wurde? Was ist es, das die Auseinandersetzung mit Kleist so schwierig macht? Und noch viel spannender: Warum feiert man 2011 mit einem Kleist-Jahr die Tatsache, dass sich dieser damals junge Dichter Heinrich von Kleist im Herbst 1811 auf brutale Art und Weise das Leben genommen hat? Vielleicht sind es tatsächlich die Fanatiker, die man braucht, um diese Fragen zu stellen und zu beantworten.